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Recherchen decken auf, unter welchen Umständen nepalesische Leiharbeiter für Amazon in Saudi-Arabien arbeiten. Es geht um Täuschung, finanzielle Erpressung, niedrige Löhne und menschenunwürdige Unterbringung durch Leiharbeitsfirmen. Der Handelskonzern hätte es wissen können.
Ein Amazon-Lagerhaus in den Niederlanden. In den saudi-arabischen Pendants wurden nepalesische Leiharbeiter systematisch ausgebeutet. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ANPWährend diverse Internetportale Schnäppchenjäger*innen über die Rabatte der „Prime Days“ informierten, ging eine Nachricht diese Woche zu Amazon fast unter: Arbeitsmigrant*innen in Saudi-Arabien, die für den Handelsriesen gearbeitet haben, wurden von mindestens einer Personalfirma brutal ausgebeutet. Darüber berichten der Guardian und Amnesty International übereinstimmend.
Die nepalesischen Männer arbeiteten in den Amazon Lagern in Riad und Dschidda, waren aber bei Leiharbeitsfirmen angestellt. Bereits über diesen Umstand seien sie getäuscht worden, heißt es übereinstimmend in den Berichten. Personalagenturen hätten ihnen – teils auch auf explizite Nachfragen – versprochen, direkt für Amazon zu arbeiten, erzählten die Arbeiter. Diese zahlten darum vierstellige Dollargebühren für die Vermittlung, erlaubt sind in Nepal maximal 85 US-Dollar. Einige nahmen sogar einen Kredit deswegen auf.
Ausbeutung statt „goldene Chance“
„Die Arbeiter*innen dachten, sie würden eine goldene Chance bei Amazon ergreifen, aber stattdessen wurden sie misshandelt und traumatisiert“, sagt Steve Cockburn, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty.
Die Arbeiter haben laut den Recherchen teilweise erst in Nepal erfahren, dass sie nur Angestellte von Leiharbeitsfirmen sind und nur einen Bruchteil des Gehalts verdienen, den ihre festangestellten Kollegen bekämen, schreibt Amnesty. Auch die Unterbringung durch mindestens eine der Leiharbeitsfirmen („Al-Mutairi“) war nach Angaben der Arbeiter gegenüber dem Guardian menschenunwürdig. Die Männer berichteten der Zeitung von verunreinigtem Wasser, Kakerlaken und der Unterbringung in Hochbetten – zu sechst oder acht in einem Raum.
Finanzielle Erpressung
Al-Mutairi beutete die Arbeitsmigranten systematisch aus. Ein Arbeiter erzählte dem Guardian, dass er wegen der Leiharbeitsfirma die Geburt seines Sohnes und die Beerdigung seines Vaters verpasst habe. Selbst als er die Sterbeurkunde seines Vaters vorgezeigt habe, hätte er als “Strafe“ 1600 US-Dollar zahlen müssen. Das entspricht laut Guardian-Recherche mehr als vier Monatsgehältern bei der Leiharbeitsfirma. Nach einer Kündigung oder einer fristlosen Entlassung durch Amazon seien die Arbeiter in noch schlechtere Unterkünfte gebracht wurden. Bei vielen verlangte die Leiharbeitsfirma eine Exit-Gebühr bis zu 1600 Dollar. Andernfalls stellte die Firma keine Ausreisepapiere aus und die Arbeiter saßen fest. Das kommt damit Verhältnissen moderner Sklaverei gleich, wie sie die ILO definiert.
Direkt verantwortlich für die Menschenrechtsverletzungen sind damit die Personalagenturen und Leiharbeitsfirmen wie Al-Mutairi. Diese haben auch Leiharbeiter*innen für andere internationale Konzerne herangeschafft, etwa McDonalds oder die Gruppe der Intercontinental Hotels.
Amazons Verantwortung
Dennoch muss sich auch Amazon Vorwürfe gefallen lassen. Der Konzern hat über Jahre von den billigen, eingeschüchterten Leiharbeitskräften profitiert. Zudem hatte Amazon in seinem „Modern Slavery Statement“ versprochen, dass die eigenen Lieferketten-Standards die Vulnerabilität von migrantischen Arbeitern anerkennen würden und dass „zu keinem Zeitpunkt des Anwerbeprozesses Anwerbegebühren verlangt werden dürfen“. Die Erklärung erstellte Amazon zur Erfüllung des Modern Slavery Act des Vereinigten Königreichs, des australischen Modern Slavery Act und des kalifornischen Gesetzes über die Transparenz in den Lieferketten (Transparency in Supply Chains Act).
Mehrere Arbeiter sagten dem Guardian, dass sie sich immer wieder bei Amazon-Managern beschwert hätten. Teilweise soll Al-Mutairi darauf mit Gehaltskürzungen reagiert haben, ein Arbeiter gibt an, von einem Aufseher geschlagen worden zu sein. Auch darüber sei Amazon informiert gewesen. Trotzdem, kritisiert Amnesty, habe der Handelskonzern nichts unternommen, um die Arbeiter*innen zu schützen.
In seiner Stellungnahme bestätigte Amazon, dass es bei einem Sub-Unternehmen zu einer Verletzung ihrer eigenen Standards gekommen sei. Man arbeite an einem Compliance-Plan mit der Leiharbeitsfirma. Arbeiter sollen in saubere Unterkünfte umgezogen werden und Anwerbungsgebühren zurückgezahlt werden. Amazon entschied sich nach eigener Aussage, weiter mit der Firma zusammenzuarbeiten, „um wesentliche Änderungen an ihren Abläufen vorzunehmen“. Dies sei im Interesse der Arbeiter.
Amnesty sieht neben Amazon auch den saudischen Staat in der Pflicht und macht das Kafala-System mit für die Ausbeutung verantwortlich. Dieses traditionelle Bürgschaftssystem in den Golfstaaten war bereits im Zuge des Stadionbaus zur Weltmeisterschaft in Katar international kritisiert worden. „Es ist an der Zeit, dass Amazon endlich die Dinge für die Arbeiter*innen, die so gelitten haben, in Ordnung bringt, und dass Saudi-Arabien sein ausbeuterisches Arbeitssystem grundlegend reformiert“, bilanziert Cockburn von Amnesty International.
Update, 13.10.2023, 18 Uhr: Die Kommunikationsabteilung von Amazon hat uns per E-Mail darauf hingewiesen, dass sie den Titel des Artikels für „irreführend“ und „nicht akzeptabel“ hält. Wir haben den Inhalt des Beitrags konkretisiert.
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Author: Leonhard Pitz