Christian Lindner hat in Berlin gezeigt, wie man sich spektakulär verkalkulieren – und trotzdem keinerlei Einsicht zeigen kann. Vor dem Brandenburger Tor wollte er die Bauern, die mit ihren Traktoren die Stadt lahm gelegt und durch langanhaltende Hupkonzerte die Nerven der Anwohner blank gelegt hatten, umgarnen, indem er den Aiwanger gab – eine ordentliche Portion pathetischen Stammtisch-Rechtspopulismus.
„Gute“ Demonstranten, „Schlechte“ Demonstranten
“Wir stehen hier heute vor dem Brandenburger Tor, einem Symbol unserer nationalen Einheit in Deutschland. Was für ein Unterschied zwischen den Bauern und den Klimaklebern. Die Klimakleber haben das Brandenburger Tor beschmiert, die Bauern haben das Brandenburger Tor geehrt”, verkündete Lindner – und stellte die Klima-Aktivisten implizit als eine Bedrohung für den nationalen Zusammenhalt dar.
“Mit diesem Stilmittel, das von der nationalen Einheit direkt überleitet zur Unterscheidung zwischen ‘guten’ und ‘schlechten’ Demonstranten, stellt Lindner die Bauern ins Licht der nationalen Einheit selbst”, sagt mir der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowski.
Schon eine Gleichsetzung der Aggression, die sich auf den Bauernprotesten Bahn brach mit denen der “Letzten Generation“, wäre falsch. Zwar blockiere die “Letzte Generation” Straßen, sagte der Konfliktforscher Felix Anderl dem ZDF, „aber sie hat noch nie jemanden bedroht, und sie redet nicht aggressiv. Sie hat keine Umsturzfantasien, das ist schon ein ganz anderes Niveau, würde ich sagen.“ Ein weiterer Unterschied bestehe darin, dass sich die Blockaden der “Letzten Generation” nicht „gezielt gegen Menschen, auch nicht gegen Politiker“ richten würden – anders als bei Teilen der Bauernproteste. Anderl betonte:
“Man kann von der ‘Letzten Generation’ halten, was man will, aber so eine Art von Aggressionen haben wir von denen noch nicht gesehen.”
Lindner wollte sich den landwirten anbiedern
Vor dem Hintergrund der Geschehnisse der letzten Wochen und Monate wirkt Lindners Auftritt besonders fahrlässig: Nur kurze Zeit nachdem die Unterwanderung der Landwirts-Proteste durch Rechtsextreme Schlagzeilen gemacht hatte, nachdem Angriffe auf Klima-Protestierende zugenommen haben, nachdem Rechtsextreme im Namen der Bauern versuchten, die Fähre, mit der Minister Habeck und seine Familie aus dem Urlaub zurückkehrten zu blockieren, wenige Tage nachdem Bilder der Bauern-Proteste durch die Medien gingen, die Ampelmännchen von einem an ihren Traktoren befestigten Galgen baumeln ließen, hat Lindner in Berlin versucht, sich den Landwirten anzubiedern.
Der amtierende Finanzminister sprach von “der Politik”, als sei er nicht selbst Regierungsmitglied: “Und deshalb erwarte ich von der Politik und den Medien, von allen, die Befürchtungen geäußert haben, dass sie künftig stattdessen vor der linksextremistischen Unterwanderung der Klimakleber warnen und deren Sachbeschädigungen und Blockaden verurteilen, denn das ist gerechtfertigt.”
Die ständige „Linksextremismus“-Keule
Die raunende Warnung vor angeblichem “Linksextremismus” der friedlichen Klimaproteste baut auf die Stilisierung der Klima-Aktivisten als gefährlichen Straftätern oder gar Terroristen auf, die auch einige FDP-Politiker seit Beginn der Aktionen beispielsweise durch Vergleiche mit der RAF betrieben hatten. Anders als von Lindner behauptet, kam es durchaus zu Zwischenfällen bei dem Bauern-Protest am Montag: Die Berliner Polizei berichtete von dem Einsatz von Pyrotechnik und 39 Festnahmen, drei Beamte seien im Einsatz verletzt worden. Am Sonntagabend, einen Tag zuvor, hatte der Tagesspiegel-Reporter Julius Geiler von Unterstützern der Bauernproteste berichtet, die sich am Großen Stern versammelt hatten. Einer von ihnen – es war unklar, ob es sich bei dem Mann selbst um einen Landwirt handelt – zeigte den Hitlergruß samt “Heil Hitler” Ruf in die Kamera und versuchte dann, den Journalisten tätlich anzugreifen.
Der Bauernpräsident Rukwied hatte seine Bauern nach öffentlichem Gegenwind dazu aufgefordert, „Demo-Symbolik wie Galgen, schwarze Fahnen oder andere Symbole extremistischer Gruppen” zu unterlassen, diese “lehnen wir entschieden ab!“, hieß es. Doch die Distanzierung von Rechtsextremen durch Rukwied scheint wenig Erfolg zu haben:
Auch am Montag waren Mitglieder der rechtsextremen Partei “”Freie Sachsen” vor Ort, genau wie der Anti-Corona-Maßnahmen Partei “Die Basis”. Vereinzelt waren bei den vergangenen Protesten auch Fahnen der rechtsextremen “Landvolk” Bewegung der 1920er Jahre zu sehen – sie gilt als einer der Wegbereiter der Nationalsozialisten und verübte Anschläge. Schon 2020 war auf Bauernprotesten das Symbol der “Landvolk” Bewegung – ein Pflug mit rotem Schwert – aufgetaucht. In Wittstock lief der rechtsextreme “III. Weg” bei den Protesten mit, der in einem Thesenpapier die “Blut und Boden“-Rhetorik des NS-Reichsernährungsministers und Reichsbauernführers Walther Darré fast wörtlich wiedergab.
Bauern waren schon immer ziel rechter unterwanderung
Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ist es wenig überraschend, dass die Bauernproteste von Rechtsextremen unterwandert werden. Das erklärt mir Anne-Christin Klotz, Historikerin für Mittel- und osteuropäische Geschichte mit Schwerpunkt auf jüdische Geschichte, Nationalsozialismus und den Holocaust: “Die Bauernschaft stand schon im Kaiserreich klar am rechten Rand der Bevölkerung. Sie war in weiten Teilen deutschnational und antisemitisch.
Auch in der Weimarer Republik hat die Idee der Demokratie unter den Bauern nie wirklich Fuß gefasst. Bei den letzten freien Wahlen 1932 und 1933 haben rund 90 Prozent von ihnen die NSDAP gewählt und damit entscheidend dazu beigetragen, dass diese an die Macht kommen konnte.” Auch das war kein Zufall, sondern das Ergebnis einer gezielten Strategie durch die Nazis: “Die Nationalsozialisten haben die Bauernschaft gezielt umworben. Sie haben das Bauerntum zur Grundlage des Volkes erklärt. Walther Darré, Reichsernährungsminister und Reichsbauernführer in Personalunion, sprach im Juni 1933 sogar von einem ‘Neuadel aus Blut und Boden’”, sagt Klotz.
Mit-Organisator verbreitet rechtsextreme Verschwörungsmythen
Ein Co-Organisator der Proteste, Anthony Lee, verbreitete eine Variante des rechtsextremen Verschwörungsmythos der “Umvolkung”: Er behauptete, die Politik würde Bauern enteignen, um auf dem so gewonnenen Land Flüchtlingsunterkünfte zu bauen. Lee, bis letztes Jahr CDU-Kommunalpolitiker, hat die Partei mittlerweile verlassen und war seitdem als Gastredner bei der AfD, warb für die rechten “Freien Wähler” in Bayern und bezeichnete die Grünen als Krebsgeschwür. Der Bauernverband ließ nach ZEIT Angaben verlauten: „Die drastische Darstellung von Herrn Lee wollen wir uns nicht zu eigen machen.”
Extremismus-Forscher wie Matthias Quent haben eine konsequente Abgrenzung der Bauern von Rechtsextremen gefordert – das ist bisher aber nicht konsequent gelungen. Am Montag herrschte bei den Protesten nach Beobachtungen von rbb-Reportern vor Ort teils eine äußerst aufgeheizte Stimmung. Eine rbb-Reporterin und ein rbb-Reporter wurden angepöbelt, beschimpft und auch an ihrer Arbeit gehindert.
Hetze gegen Asylbewerber und Arbeitslose
Trotz dieser beunruhigenden Lage spielte Lindner auf der Bauernbühne unverdrossen die klassische rechtspopulistische Klaviatur – von den Fleißigen und den Schmarotzern, in dem Versuch, die ihm nicht gerade gewogene Menge auf seine Seite zu ziehen: „Es ärgert mich, dass ich vor Ihnen, dem fleißigen Mittelstand, über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun“, klagte er den Demonstranten. “Soziale Reformen sind schwer, aber auch da gehen und müssen wir ran.” Er ließ keinen Zweifel daran, wer diese Schmarotzer seien: “Deshalb kürzen wir die Leistungen für Asylbewerber. Deswegen sparen wir eine Milliarde beim Bürgergeld. Denn wir dürfen es nicht länger tolerieren, wenn Menschen sich weigern, für ihr Geld zu arbeiten. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern eine Frage der Gerechtigkeit und wir beantworten sie”, rief er.
Der Politologe Marcel Lewandowski ordnet Lindners Auftritt mir gegenüber folgendermaßen ein:
“Lindner versucht hier zweierlei. Zum einen gibt er sich durch das Adressieren „der Politik“ als Außenseiter, so als sei er selbst nicht Teil der Politik, die er hier kritisiert. Zum anderen untermauert er durch den Verweis auf ‘linksextremistische Klimakleber’ die Unterscheidung zwischen ‘uns’ guten Demonstranten und ‘jenen’ schlechten; zudem nimmt er eine konservative Position ein, von der er anscheinend hofft, dass sie der der Demonstranten entspricht.”
eine perfide wie aussichtslose Strategie
Den Protest der Einen – bei denen Rechtsextreme mitmischen, gewaltvolle Rhetorik und Bilder genutzt werden – als amtierendes Regierungsmitglied zu heroisieren, und den friedlichen zivilen Ungehorsam der anderen effektiv zur Bedrohung des nationalen Zusammenhalts zu erklären, unter dem Deckmantel der Sorge um die “nationale Einigkeit” ist eine perfide wie aussichtslose Strategie – es sei denn, Lindner will Rechtspopulisten stärken. die ohnehin nicht für ihn stimmen werden. Dann hätte er auf voller Linie Erfolg gehabt.
Luisa Neubauer zeigte sich auf Twitter empört über Lindners Rhetorik und wies auf die Gefahren hin, denen Klimaaktivisten sich aussetzen:
“Seit Monaten sprechen wir in Deutschland davon, dass Klimaaktivist:innen kriminalisiert, angefeindet, gefährdet werden. Ich kann nicht ohne Personenschutz zu Klimastreiks, Aktivist:innen der Letzten Generation werden bespuckt und getreten. […] Nach Hunderten Hate-Kommentaren im Netz schlägt dann halt der Hundertunderste mal drauf – online angestachelt und bestätigt. Um das inakzeptabel zu finden, muss man Klimaproteste nicht gut finden, man muss schlicht Menschenrechte und Versammlungsfreiheit anerkennen”, schrieb Neubauer.
ein Armutszeugnis für die demokratische Kultur
Lindners Auftritt war ein Armutszeugnis für die demokratische Kultur: Ein Regierungsmitglied, ein Minister in der Defensive, der versucht, sich Demonstranten anzubiedern, die mehrfach durch gewaltvolle Rhetorik und Bilder gegen seine eigene Regierung aufgefallen sind – und der die Gelegenheit nutzt, um das Spaltungsnarrativ, wonach die Gesellschaft angeblich entzweit sei, weiter anzufeuern, indem er auf die von ihm als Sündenbock auserkorene Gruppe friedlicher Demonstrierender einer anderen ideologischen Herkunft hetzt, die in den letzten Monaten mehrfach Gewalt ausgesetzt waren, und gegen die Rechte Stimmung machen.
Wenn Vertreter demokratischer Parteien in diese Hetze einstimmen, gefährden sie diejenigen, die friedlich protestieren – und sägen gleichzeitig an ihrem eigenen Stuhl: Als politischer Schachzug war Lindners Rede so billig wie gefährlich – und ineffektiv obendrein. Denn statt des erhofften Applauses gab es andauernde Buhrufe aus dem Publikum, das er mit seinen Stammtischparolen umwerben wollte, gegen die er weiterhin anschreien musste.
Von Rechtspopulismus profitieren nur rechte, zeigt die Wissenschaft
Das ist nicht verwunderlich: Rechtspopulistische Agitation hilft, das zeigen Politikwissenschaftler seit geraumer Zeit, Rechtspopulisten – und schadet den demokratischen Parteien, die sich rechtspopulistische Argumente zu eigen machen und die sie damit salonfähig machen. Der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowski analysiert, weshalb Lindners Strategie gescheitert ist:
“Letztlich kann der Finanzminister aber bei den anwesenden Bauern nicht punkten. Lindner hat versucht, den Populismus wie einen Anzug überzustreifen. Das aber funktioniert nicht. Der Populist muss als Außenseiter, als einer ‘für das’ oder ‘aus dem’ Volk glaubwürdig sein. Der Finanzminister ist aber Teil eben jener Regierung, gegen die die Bauern demonstrieren, und er ist für genau die Kürzungen verantwortlich, gegen die sie auf die Straße gehen. Sein rhetorischer Schwenk kommt plötzlich und ist nicht glaubwürdig. Deshalb gelingt er nicht.”
Warum aber sind ausgerechnet die Bauernproteste so anfällig für rechtsextreme Narrative?
Auch hier hilft der Blick in die Geschichte. Klotz analysiert: “Während in anderen Bereichen der Gesellschaft zumindest eine teilweise Entnazifizierung stattfand, blieb diese in der Landwirtschaft weitgehend aus. Zumindest in den drei westlichen Zonen gehörten die allermeisten Höfe nach 1945 noch immer denselben Familien, die mit ihren Stimmen Hitler an die Macht gebracht hatten. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren profitierten sie zudem massiv vom Handel mit Lebensmitteln auf dem sogenannten Schwarzmarkt.”
Die Geschichte des Bauernverbandes zeichnet ein etwas kompliziertes Bild, zeigt Klotz:
“Der Bauernverband wurde 1948 gegründet und war von Beginn an stramm konservativ. An der Spitze gab es hierbei keine direkte personelle Kontinuität. Der erste Vorsitzende der Nachkriegszeit Andreas Hermes war sogar im Widerstand und hatte Kontakte unter anderem zum Kreisauer Kreis. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Kontinuitäten auf unteren Ebenen immens waren, weil es schlicht nicht genügend Bauern gab, die nicht in irgendeiner Form mit dem Nationalsozialismus verbandelt waren.”
ein Versagen in der historischen Aufarbeitung
Das gelte insbesondere für den protestantisch geprägten norddeutschen Raum, wo in den Nachkriegsjahren extrem rechte Parteien wie die Sozialistische Reichspartei und die in der Tradition der Landvolkbewegung stehende Schleswig-Holsteinische Gemeinschaft ihre Hochburgen hatten. Gleichzeitig verweist Klotz darauf, dass es in der jungen Bundesrepublik keine Aufarbeitung von Kontinuitäten in Verbänden gegeben habe, die weiter bestanden, “weil von den Nationalsozialisten erlassene Gesetze und Verordnung fortbestanden, wie auch auf institutioneller Ebene, wo sich die starke Stellung des Bauernverbandes in der Bundesrepublik nur verstehen lässt, wenn man die Schaffung des Reichsnährstandes 1933 und die ihm zugrundeliegende Idee einer ständischen Gliederung der Gesellschaft berücksichtigt”, erklärt Klotz.
Hier sieht sie ein Versagen in der historischen Aufarbeitung: “Leider ist dieser Teil der deutschen Geschichte nur bedingt, nämlich in Bezug auf staatliche Stellen, wo es Mitte der 1950er Jahre einen beachtlichen Zulauf von ehemaligen Nazis gab, aufgearbeitet worden. Die Kontinuitäten in den Verbänden, den landwirtschaftlichen Betrieben selbst sowie der sie umgebenden Agrarwirtschaft liegen auch heute noch weitgehend im Dunkeln.” Was müsste diesbezüglich geschehen? “Es wäre eigentlich Aufgabe des Bauernverbandes, hier für Abhilfe zu sorgen und eine entsprechende Studie in Auftrag zu geben“, so Klotz.
Man kann nur hoffen, dass diese Forderung Gehör findet – und dass Christian Lindner aufhört, sich als Bauernfänger zu versuchen, denn Letzteres ist zum Scheitern verurteilt – und brandgefährlich.
Artikelbild: Sebastian Christoph Gollnow/dpa
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