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Alexei Soldatov: Russischer Internet-Pionier zu Haftstrafe verurteilt

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Alexei SoldatovRussischer Internet-Pionier zu Haftstrafe verurteilt

Alexei Soldatov war in den Wendejahren maßgeblich daran beteiligt, das Internet in die Sowjetunion und nach Russland zu holen. Nun wurde der Internet-Pionier zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Das kommt einem Todesurteil gleich, kritisiert sein Sohn, der prominente Regimekritiker Andrei Soldatov.


Tomas Rudl – in Demokratiekeine Ergänzungen
Der russische Internet-Pionier Alexei Soldatov wurde in Moskau zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. CC-BY 2.0 Bilder: Veni, bobrayner; Montage: netzpolitik.org

Der russische Internet-Pionier Alexei Soldatov ist von einem Moskauer Gericht zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt worden. Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, wurde dem 72-Jährigen Machtmissbrauch vorgeworfen. Soldatov bestreitet die Vorwürfe, ein politischer Hintergrund wird vermutet.

Zu 18 Monaten Haft wurde der Mitangeklagte und ehemalige Geschäftspartner Soldatovs, Yevgeny Antipov, verurteilt. Auch Alexei Shkittin, ein weiterer Geschäftspartner Soldatovs, sollte vor Gericht erscheinen. Details über sein Schicksal ließen sich nicht in Erfahrung bringen. Profile auf LinkedIn und Xing deuten darauf hin, dass er sich in Berlin aufhält.

Von Nuklearphysik zur ersten E-Mail

Der studierte Nuklearwissenschaftler Soldatov machte in der damaligen Sowjetunion Karriere am Kurtschatow-Institut. Dort baute er noch vor der Wende das Russian Institute for Public Networks (RIPN) auf, das ab den frühen 1990er-Jahren als RIPE-Mitglied für die Verwaltung und Vergabe von IP-Adressblöcken in Russland zuständig war.

Zeitgleich entstand am Kurtschatow-Institut rund um Soldatov das Forschungsnetzwerk Relcom. Die Anfänge des russischen Internets hat Soldatovs Sohn, der Investigativjournalist und exilierte Regimekritiker Andrei Soldatov, gemeinsam mit Irina Borogan für das Center for European Policy Analysis (CEPA) nachgezeichnet. Demnach wurden über Relcom im Sommer 1990 die ersten E-Mails mit einer finnischen Universität ausgetauscht. Schmalbandig, aber funktional: Die Sowjetunion war im globalen Internet.

Das junge Netzwerk blieb zunächst unter dem Radar anderer Behörden. Beim kurzlebigen KGB-Putsch im August 1991 wurde Relcom, anders als traditionelle Medien, nicht besetzt oder blockiert. Soldatov habe damals insistiert, die Leitungen unter allen Umständen offen zu halten, erinnert sich sein Sohn.

Zu dieser Zeit verfügten rund 400 Organisationen und Einzelpersonen in 70 Städten über einen Internetanschluss. Sie konnten damit als Augenzeugen in Echtzeit über die Geschehnisse berichten. So sei ein „kaleidoskopisches Bild“ über die Vorgänge im Land entstanden, schreiben Soldatov und Borogan für CEPA: Truppen gab es nur in Moskau und Leningrad, der Putschversuch brach zusammen.

Unbeliebter Vize-Minister

Alexei Soldatov blieb seiner Liebe für Computer treu. 1992 gründete er einen der ersten privaten Netzbetreiber in Russland, unter dem gut eingeführten Namen Relcom. Als gestandener Internetexperte blieb er unter anderem im Vorstand von RIPN und wurde schließlich im Jahr 2008 vom damaligen (Schein-)Präsidenten Dmitri Medwedew zum stellvertretenden Minister für Kommunikation berufen.

Seine Amtszeit dauerte kaum zwei Jahre. Schon damals gab es Überlegungen, Russland und sein Internet weiter vom Rest der Welt abzuschotten. Soldatov wollte dabei nicht mitmachen, sehr zum Missfallen der damaligen politischen Führung.

Seine Umtriebigkeit holte Soldatov spätestens im Jahr 2019 ein. Wie die Investigativplattform Meduza damals berichtete, wurde Anklage gegen Soldatov und seine Geschäftspartner Antipov und Shkittin erhoben. Das geschah auf Betreiben des Kreml und Andrey Lipov. Letzterer ist inzwischen Chef der russischen Internetaufsichtsbehörde Roskomnadsor und aufgrund des laufenden Angriffskriegs auf die Ukraine international sanktioniert.

Die drei Angeklagten sollen umgerechnet rund 8 Millionen US-Dollar veruntreut haben, so der offizielle Vorwurf, weil RIPN illegal IP-Adressblöcke an die in Tschechien sitzende „Reliable Communications“ weitergegeben habe – eine Firma, die Alexei Soldatov und Alexei Shkittin gehört haben soll.

Kontrolle über „souveränes“ russisches Internet

In Wahrheit aber soll es bei dem Politikum vielmehr darum gegangen sein, schreibt Meduza unter Berufung auf ein RIPN-Vorstandsmitglied, dass RIPN im Jahr 2019 kurz vor der Auflösung stand. Dabei soll aus Sicht der russischen Regierung die Gefahr bestanden haben, dass die Verwaltung der Top-Level-Domain (TLD) .su von RIPN an die gemeinnützige „Internet Development Foundation“ übergegangen wäre, die Soldatov kontrollierte.

Etwa zur gleichen Zeit trat ein umfangreiches Gesetz in Kraft, mit dem Russland ein „Souveränes Internet“ schaffen wollte. Auf dem Programm stand dabei auch, TLDs wie .ru, .рф und eben auch .su unter staatliche Kontrolle zu bekommen. Die .su-TLD war einst für die Sowjetunion geschaffen worden und hätte Mitte der 1990er von der .ru-TLD ersetzt werden sollen. Auf Antrag der russischen Regierung kam es jedoch nie dazu, die TLD war einfach zu beliebt. Sie wird weiterhin von RIPN beziehungsweise dem Russian Institute for Development of Public Networks (ROSNIIROS) verwaltet.

„Juristische Absurdität“

Zwar sei das damalige Handeln Soldatovs schwer durchschaubar, insgesamt aber weder illegal noch ungewöhnlich gewesen, resümierte Meduza. Für Andrei Soldatov, den Sohn des nun verurteilten und todkranken Soldatov, ist die Sache klar: „Der russische Staat, von Natur aus rachsüchtig und zunehmend gewalttätig, beschloss, ihm seine Freiheit zu nehmen – ein perfektes Beispiel dafür, wie Russland die Menschen behandelt, die zur Modernisierung und Globalisierung des Landes beigetragen haben.“

Das Urteil sei eine „juristische Absurdität“ und käme einem Todesurteil gleich, schreiben Soldatov und Borogan. „Sein wahres Verbrechen in den Augen dieses grausamen Regimes? Ein unabhängiger Geist, echte Integrität und ein Sohn, der im Exil lebt und gleichzeitig über den Abstieg seines Heimatlandes in die Diktatur schreibt.“

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Author: Tomas Rudl

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