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Abschiebungen: Was Niedersachsen ausgibt, um Geräte zu durchsuchen

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

AbschiebungenWas Niedersachsen ausgibt, um Geräte zu durchsuchen

Niedersachsen investierte in den letzten zwei Jahren fast 80.000 Euro in Softwarelizenzen, um die Geräte von Ausreisepflichtigen zu durchsuchen. Von dem Geschäft profitiert das Forensik-Unternehmen Cellebrite – das seine Preise und Vertragsbedingungen am liebsten geheim halten will.


Chris Köver – in Überwachung7 Ergänzungen
Damals noch niedersächsischer Innenminister: Boris Pistorius besucht Geflüchtete in einer Außenstelle der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in Hannover. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / localpic

Niedersachsen gab im vergangenen Jahr rund 45.000 Euro für Software-Lizenzen aus, um die Handys von Ausreisepflichtigen zu durchsuchen. Im Jahr davor waren es etwa 35.000 Euro, die das Land in IT-Forensik investierte. Das teilt die zuständige Landesaufnahmebehörde Niedersachsen auf Anfrage von netzpolitik.org mit.

Seit 2022 können Ausländerbehörden in Niedersachen Geräte an die Landesaufnahmebehörde schicken, um in den Daten nach Hinweisen auf Identität oder Staatsangehörigkeit zu suchen. Gesetzlich ist das erlaubt, wenn ausreisepflichtige Ausländer:innen ihre Identität nicht auf anderen Wegen nachweisen können, etwa über ein Passdokument.

Die zentrale Behörde in Braunschweig durchsucht die Geräte in solchen Fällen nicht selbst, teilt uns eine Sprecherin mit, sondern extrahiert lediglich die Daten. Das heißt: Personal der Behörde schließt das Handy an ein spezielles Gerät an, umgeht im Zweifel auch Zuganngssperren und extrahiert dann die darauf befindlichen Daten – von Fotos, verschlüsselt versendeten Nachrichten und angerufenen Nummern bis zur Browserhistorie. Dieses Daten-Paket bekommen anschließend die Ausländerbehörden.

Fast 80.000 Euro, um 81 Geräte zu durchsuchen

Für diese Arbeit greift die Landesaufnahmebehörde auf Werkzeuge des Forensik-Unternehmens Cellebrite zurück. Diese kämen auch in den niedersächsischen Polizeidienststellen zum Einsatz, teilt ein Sprecher des Innenministeriums mit. Allerdings wollte das Ministerium und die Behörde bisher nichts zu den Kosten sagen. Diese seien „Bestandteil vertraulicher Vertragsverhandlungen“.

Erst nach mehrfachem Nachhaken teilt uns die Landesaufnahmebehörde weitere Details mit. Demnach nutzt die Behörde die Software von Cellebrite innerhalb eines Rahmenvertrages, der von der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen geschlossen wurde. Die Kosten für die Lizenz: 33.328 Euro für das Jahr 2022 und 44.910 Euro für 2023. Zusammengenommen sind das fast 80.000 Euro allein für die Software.

Wie viele Geräte sind bislang mit Hilfe der Software bearbeitet worden? 81 Geräte hätten Ausländerbehörden seit Anfang 2022 eingeschickt, teilt ein Sprecher des Ministeriums mit. Damit gab das Land in den vergangenen zwei Jahren rund 1.000 Euro pro Durchsuchung aus.

Zuständiger Innenminister war in dieser Zeit Boris Pistorius (SPD), der seit Januar 2023 als Verteidigungsminister in die Bundesregierung gewechselt ist. Seinen Posten übernahm danach Daniela Behrens (SPD).

„Unkomplizierter Zugriff auf gesperrte Geräte“

Cellebrite vertreibt Geräte und Software, mit denen man Computer oder Smartphones knacken und durchsuchen kann. Das Unternehmen mit Sitz in Israel sammelt zu diesem Zweck Schwachstellen in Betriebssystemen oder Programmen, über die es auf die Geräte zugreifen kann. Vermarktet werden diese Produkte vor allem an Strafverfolgungsbehörden.

Welches Produkt aus dem Katalog von Cellebrite in Niedersachsen zum Einsatz kommt, sagen die Behörden nicht. Allerdings bietet Cellebrite für den Zugriff auf Smartphones nur eine Produkt-Serie an: Sie heißt „UFED“, kurz für „Universal Forensics Extraction Device“. Beworben wird UFED als „unkomplizierter Zugriff auf gesperrte Geräte“. Muster-, Kennwort- oder PIN-Sperren der gängigen Handys ließen sich damit umgehen.

Sollte UFED auch in Braunschweig bei der Handydurchsuchungen zum Einsatz kommen, bekommen Ausländerbehörden damit einen umfassenden Zugang zu den Daten auf dem Gerät. Sie können die Anrufhistorie oder das Adressbuch nach Kontakten durchsuchen, über die Standortdaten Bewegungsprofile der Person sehen oder ihre verschlüsselt versendeten Nachrichten lesen.

Das Aufenthaltsgesetz schreibt vor, dass eine Person mit einem juristischen Staatsexamen diese Daten sichten muss, um sicherzustellen, dass keine Informationen aus dem privaten „Kernbereich“ in den Akten landen, etwa Nacktaufnahmen. Allerdings lässt sich kaum vermeiden, dass diese Person zunächst alles zu sehen bekommt.

Geheime Preispolitik

Seine Lizenzvereinbarungen und Preise hält Cellebrite geheim. Auch Kund:innen verpflichtet das Unternehmen im Rahmen von Verträgen, die Kosten für die Lizenzen geheim zu halten. Das geht etwa aus Ablehnungsbescheiden hervor, die netzpolitik.org von verschiedenen Behörden und Ministerien erhalten hat. Sie führen teils die Vertragsbedingungen als Grund dafür an, warum sie keine Auskunft zu den Kosten erteilen könnten.

So schreibt uns etwa das Regierungspräsidium Karlsruhe, das in Baden-Würtemberg für die Geräte-Durchsuchungen zuständig ist, die Preise von Cellebrite seien Geschäftsgeheimnisse. Sie würden „nach Anfrage durch den Kunden in Abhängigkeit der Ausgestaltung des jeweiligen Vertragsverhältnisses individuell festgelegt“ und seien ansonsten geheim.

Behörden müssen Unternehmen beteiligen, wenn sie von Informationsfreiheitsanfragen betroffen sind. Geht es bei den erbetenen Informationen um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, braucht die Behörde vor der Herausgabe in der Regel die Einwilligung des Unternehmens. Die gab es von Cellebrite offenkundig nicht: „Die Fa. Cellebrite hat nach Anhörung vom 24.06.2024 mit E-Mail vom 24.06.2024 ausdrücklich erklärt, in den Zugang zu den die Geschäftsgeheimnisse enthaltenden Informationen nicht einzuwilligen“, schreibt die baden-württembergische Behörde.

Wir haben Cellebrite um eine Bestätigung der Vertragsauflagen für Kunden gebeten und auch nach Details zu der Preisgestaltung gefragt, jedoch keine Antwort bekommen.

„Gefahr für die öffentliche Sicherheit“

Deutsche Bundesländer zahlen jährlich mehrere Hunderttausend Euro, um Handys von Ausreisepflichtigen auf der Suche nach Spuren zu durchleuchten. Allein aus Bayern fließen vom Landesamt für Asyl und Rückführungen jedes Jahr 200.000 Euro Lizenzgebühren an Cellebrite, wie Recherchen von netzpolitik.org zeigen.

In der Vergangenheit hatten Ausländerbehörden die Geräte teils noch von Hand durchsucht. In einigen Ländern bekommen sie Amtshilfe von Polizeibehörden oder vom Zoll, die eigene Forensik-Abteilungen haben.

Mittlerweile haben mindestens fünf Bundesländer eigene zentrale Stellen eingerichtet, die die Ausländerbehörden bei ihren Aufgaben unterstützen sollen – auch bei der „Identitätsfeststellung“ mit Hilfe von IT-Forensik. Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben dafür auch in Forensik-Werkzeuge investiert.

Von dem Geschäft profitiert vor allem Cellebrite: Neben Niedersachsen kauften auch Bayern und Baden-Würtemberg nach eigener Auskunft bei Cellebrite ein. Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfahlen halten den Namen des Anbieters dagegen geheim.

Die Begründung: Die Kenntnis des Herstellers und dadurch der eingesetzten Software würde Ausreisepflichtigen einen Vorteil verschaffen und die Arbeit der Behörden bei der Identitätsfeststellung behindern, teilt etwa das zuständige Familien- und Integrationsministerium Nordrhein-Westfalen mit. Das sei eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Durchsuchung als “reine Schikane”

Fachleute bezweifeln, dass die Handydurchsuchungen überhaupt Vorteile für das erklärte Ziel der Identitätsfeststellung bringen. Anrufhistorie, Browserdaten oder auch Geodaten auf den Geräten seien wenig aufschlussreich, um auf die Identität oder Staatsbürgerschaft einer Person zu schließen, kritisiert die Anwältin Sarah Lincoln, die bei der Organisation Gesellschaft für Freiheitsrechte zum Thema arbeitet.

Die Ampelregierung hält trotzdem an der Maßnahme fest. In der jüngsten Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts hat sie nicht nur klargestellt, dass die Durchsuchungen weiter stattfinden sollen, sondern die Befugnisse noch erweitert: Behörden dürfen nun auch in die Privaträume von Menschen eindringen, die abgeschoben werden sollen, um darin nach Dokumenten oder Geräten zu suchen.

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Author: Chris Köver

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