Köln | Am 9. Juni 2024 heißt es in Köln-Mülheim wieder: Birlikte. Das Gedenkfest erinnert an den Nagelbombenanschlag des NSU in der Keupstraße in Köln Mülheim vor 20 Jahren. Auch das vierte Birlikte-Fest will ein Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung setzen und dabei nicht nur die Erinnerung, sondern auch die Zukunft im Blick behalten.
Das diesjährige Birlikte-Gedenk- und Kulturfest am 9. Juni findet zeitgleich mit der Europawahl statt. Schauspielintendant Stefan Bachmann dazu: „Erst wählen gehen, dann zu Birlikte.“ Birlikte ist türkisch und heißt „gemeinsam“, „zusammen“. Es wird initiiert von der Stadt Köln, dem Schauspiel Köln sowie verschiedenen Kölner Institutionen und Initiativen.
Der Anschlag in der Keupstraße und Birlikte
Am 9. Juni 2004 zündeten Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) eine Nagelbombe vor einem Friseursalon in der Keupstraße in Köln-Mülheim. 22 Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Bis sich der NSU zu dem Anschlag bekannte, vergingen sieben Jahre. Bis 2011 wurde der Anschlag nicht als rechtsterroristisch und rassistisch eingestuft, sondern Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels, unter ihnen auch Opfer des Anschlags, verdächtigt.
Das Gedenkfest Birlikte fand erstmals 2014 zum zehnten Jahrestag statt. Eigentlich als einmalige Kundgebung gegen rechtsextreme Gewalt in Deutschland geplant, fand Birlikte auch in den Jahren 2015 und 2016 allerdings in kleinerem Rahmen statt. Zu Birlikte 2014 standen zahlreiche namhafte Personen aus Kunst und Kultur auf der Bühne. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck eröffnete die Kundgebung. Etwa 70.000 Menschen besuchten Birlikte in 2014 und 2015 nach Angaben der Veranstalter.
Das Programm zum 9. Juni
Am 8. und 9. Juni haben Besucherinnen und Besucher die Wahl: Das Programm von Birlikte bietet rund um Schauspielhaus und Keupstraße eine Fülle an Führungen, Chorauftritten, Interviews mit Betroffenen, Podien, Ausstellungen, Filmen, Lesungen und mehr. Das vollständige Programm gibt es auf der Website der Stadt Köln.
Die Motivation von Birlikte sei immer, Geschichten, Erlebnisse und Perspektiven sichtbar zu machen und ein starkes Zeichen gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Diskriminierung zu setzen, sagte Serpil Güner vom Verein interKultur zum Programm. Dabei wolle man in diesem Jahr Betroffene stärker zu Wort kommen lassen als noch beim ersten Birlikte-Fest vor zehn Jahren, sagte Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Sie wies darauf hin, dass zum einen das schreckliche Ereignis, aber auch die Zusammenhänge sichtbar gemacht werden sollen.
„Birlikte hat gezeigt, dass wir uns alle betroffen gefühlt haben“, so Meral Sahin von der Interessengemeinschaft Keupstraße. Es ginge vor allem auch darum, was man für die Zukunft besser machen könne, damit so etwas nie wieder passiert, so Sahin. Und Birlikte sei der Versuch, das Gedenken und die Perspektive in die Zukunft unter einen Hut zu bringen, so Schauspielintendant Stefan Bachmann. Er wirkte schon 2014 an Birlikte mit. Norbert Fuchs, Bezirksbürgermeister von Köln-Mülheim sagte, dass es ohne das Schauspiel in Mülheim auch Birlikte nicht gäbe.
Kritik an Gedenkfest
„Stimmen, die verstummt werden sollten, sollen in den Mittelpunkt rücken“, sagte Bengü Kocatürk-Schuster von der Initiative Herkesin Meydanı. Einige Betroffene, die bei dem Anschlag vor 20 Jahren verletzt wurden, kritisieren, dass sie nicht genug Unterstützung erhalten, damals wie heute. So fehlte es damals akut an psychologischen Unterstützungsangeboten in Mülheim, und auch heute bräuchten die Betroffenen Räume, die einen sicheren Austausch ermöglichen.
Weitere Stimmen kritisieren, dass es noch immer keine Aufklärung und keine Konsequenzen des Anschlags gibt, auch bezogen auf die Ermittlungen der Polizei und politische Akteure. Zudem wird die Erinnerung an den Anschlag, auch durch die Presse, als ungenügend empfunden. Dazu zählt auch, dass das Denkmal zu den Anschlägen des NSU in der Keupstraße noch nicht fertig ist, was aber laut Oberbürgermeisterin vorrangig an der Platzwahl läge: Erst ein Eigentümerwechsel der gewählten Stelle Keupstraße/Schanzenstraße führte dazu, dass die Fläche für das Denkmal freigebenden ist.
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