Viele Menschen sagen uns, dass sie sich verloren und hilflos fühlen angesichts der Gewalt im Nahen Osten. Viele wissen nicht, was sie noch sagen dürfen oder wie. Und das ist okay so, wirklich. Uns geht es ähnlich. Wir haben kein tiefes historisches Wissen, mit dem wir euch überzeugen könnten, dieses oder jenes zu glauben. Niemand kann ein Experte auf allen Gebieten sein und das darf auch niemand verlangen. Es gibt ohnehin schon bei viel zu vielen Themen viel zu viele, die nicht wissen, wovon sie reden und trotzdem etwas sagen. Und wahrscheinlich gibt es in diesem komplexen Nahost-Konflikt auch einfach keine einfache, richtige Lösung. Aber wir haben uns trotzdem ein paar Leitlinien überlegt, damit ihr so mit dem Konflikt umgehen könnt, dass es dem Frieden nützt. Es sind auch die Dinge, an die wir uns selbst halten.
1. Du wirst den Konflikt nicht lösen
Es ist lobenswert, dass du dich vielleicht für Frieden einsetzen willst. Daran ist nichts Falsches. Und es ist gut, wenn du das tust und dich so äußerst. Aber wir leben hier in Deutschland. Der Konflikt ist im Nahen Osten. Es ist nicht zielführend, wenn wir denken, dass wir unsere teils naiven Vorstellungen von Frieden dort einfach durchsetzen können. Viele Diskussionen sind so geprägt von Selbstüberschätzung und Hybris:
“Wenn die eine oder die andere Partei nur das und das machen würde, dann wäre der Konflikt schon längst vorbei!”
Wenn das alles so einfach wäre, hätte es schon jemand gemacht. Nur sehr wenige Menschen da haben Bock auf Krieg. Viele der Menschen dort haben komplexe Biografien, die wir uns gar nicht vorstellen können. Viele, viele Dinge wurden schon versucht, um Frieden zu erreichen.
Du kannst aber dafür sorgen, dass es nicht noch schlimmer wird
Du kannst allein schon dadurch etwas beitragen, indem du den Konflikt nicht noch SCHLIMMER machst, indem du andere verletzt oder Fake News verbreitest. Und natürlich mit deiner Stimme einen Einfluss auf unsere Bundesregierung ausübst, klar. Aber nochmal: DU wirst es nicht lösen. Es hängt nicht von dir ab. Diese Erkenntnis kann vielleicht auch helfen, mit dem ganzen Thema weniger emotional umzugehen. Es kommt ja auch niemand in Deutschland am Stammtisch auf die Idee, plötzlich einen Friedensplan für den Bürgerkrieg im Sudan vorzulegen. Nur bei Israel haben alle eine klare Meinung. Das ist nicht nötig. Was nicht heißt, dass du zu Unrecht, Gewalt, Propaganda und Hass schweigen sollst! Gerade wenn wegen des Konflikts oder wegen Propaganda Menschen hier bei uns bedroht werden, wenn Rassismus oder Antisemitismus geschürt wird. Dagegen darfst und sollst du dich aussprechen. Es ist wichtiger, dass du dich gegen Hass und Desinformation äußerst, als dass du versuchst, Gaza zu lösen.
So sehen wir das übrigens auch im Volksverpetzer Team: Es kommt dort vor Ort auf uns nicht an. Deshalb konzentrieren wir uns auf Faktenchecks. Wir konzentrieren uns primär darauf, dass wir hier in Deutschland in Frieden zusammenleben. Ohne Fakten keinen Frieden. Das ist schwierig genug.
2. Wie du Antisemitismus vermeidest
Antisemitismus beginnt dann, wenn antisemitische Vorurteile, Ressentiments und/oder Hass geäußert werden. Antisemitismus beginnt auch dann, wenn Israel das Existenzrecht abgesprochen wird, was leider in vielen der unter “Free-Palestine” vermarkteten “Protest-”Bewegungen zu sehen ist.
Das heißt nicht, dass jede Kritik an Israel antisemitisch ist. Die Amadeu-Antonio-Stifung fand eine sehr treffende Unterscheidung zwischen Israelkritik und Antisemitismus:
“Wenn Israelkritik als Form daherkommt und nicht als Inhalt, ist sie antisemitisch. Das geschieht immer dann, wenn Menschen gar keine oder nur eine sehr selektive Wahrnehmung vom vermeintlichen Gegenstand der Kritik haben, in dem Fall Israel.”
Viele antisemitische Äußerungen zu Israel haben ihren Ursprung in diesen Drei Ds:
Dämonisierung, Delegitimierung, Doppelstandards.
Dämonisierung bedeutet, dass der Staat Israel als das absolut Böse dargestellt. In dem Fall handelt es sich nicht um Kritik, sondern um Antisemitismus. Wird das Existenzrecht Israels infrage gestellt oder gänzlich abgelehnt, so wird Jüd*innen das Recht abgesprochen, geschützt in einem eigenen Staat leben zu dürfen. Ebenfalls wird Israel damit das Recht abgesprochen, sich selbst zu verteidigen, wie es jedem souveränen Staat auf der Welt möglich ist. (Beispiel: „From the river to the sea, Palestine will be free!”)
Werden an Israel Doppelstandards angelegt, bedeutet das, dass Handlungen und Ereignisse nur dann wahrgenommen werden, wenn Israel dafür verantwortlich gemacht werden kann. Eine Aussage ist antisemitisch, wenn an Israel andere Werte und Maßstäbe als an andere demokratische Staaten angelegt werden. An diese Dinge bitte denken.
3. Hamas gehört verurteilt
Ein wichtiger Punkt besteht darin, die Verbrechen der Hamas anzuerkennen. Die Terrororganisation Hamas ist keine “normale” Partei in diesem Konflikt. Sie existiert NUR wegen des Konfliktes. Wenn sich Palästinenser und Israelis eines Tages einigen, dann gibt es keinen Grund mehr für ihre Existenz. Daher versucht die Hamas alles, um den Nahost-Konflikt zu verlängern. Ihn zu eskalieren. Sie will Hass schüren, Menschen aufhetzen. Menschenleben sind ihr egal. Ganz grundsätzlich ist die Hamas eine Terrororganisation und so sollte sie auch behandelt werden. Nicht wie eine missverstandene Gruppe von Freiheitskämpfer:innen oder wie eine revolutionäre Brigade, die über die Stränge schlägt. Sondern wie eine Terrorgruppe.
Die Hamas schießt unprovoziert Raketen nach Israel, von denen die meisten abgefangen werden, aber immer wieder auch welche treffen. Und Zivilist*innen tötet. Auch in Gaza selbst. Letztens zum Beispiel das Krankenhaus in Ashkelon. Danach profitiert sie propagandistisch von den Vergeltungsschlägen der Israelis gegen die Abschussrampen, weil dabei oft auch Zivilist*innen sterben. Ein ewiger Hass-Kreislauf, der schon Generationen anhält. Und den die Hamas bewusst befeuert mit sinnlosen Raketenangriffen.
Hamas will Israel vernichten und ist antisemitisch
Die Hamas will keinen Frieden. Sie will die Vernichtung Israels. Sie will den Tod von jüdischen Menschen. Und sie sind Antisemiten. Ihrer Gründungscharta beziehen sie sich buchstäblich auf der antisemitischen Verschwörungserzählung, auf die sich auch die Nazis bezogen. Entgegen jedem islamischen oder irdischem Recht hat die Hamas ihren Terroristen den Befehl gegeben, in Süd-Israel ganze Dörfer auszulöschen, Frauen und Kinder inklusive. Und genau das haben sie getan. Daran besteht keinerlei Zweifel mehr. Die Terroristen haben ihre Taten selbst auf Video aufgenommen, um damit zu prahlen.
Es ist völlig in Ordnung, Sympathie mit den Menschen in Palästina zu haben. Aber manche dieser Sympathisanten haben diese Taten der Hamas teilweise verharmlost, geleugnet oder sogar gerechtfertigt. Das ist unglaublich schädlich. Es führt dazu, dass die Hamas sich bestärkt fühlt. Es hilft den Interessen der Palästinenser auch nicht, weil es so wirkt, als würden sie die Hamas unterstützen. Weil es sie vollkommen unglaubwürdig macht. Bitte verurteilt die Hamas. Laut und deutlich. Es schadet wirklich niemandem, das zu tun.
4. Trotz allem: Nicht zu Verallgemeinerungen hinreißen lassen
Eine Tendenz in solchen Konflikten besteht oft darin, die jeweilige Gegenseite als Ganzes zu dämonisieren. Man nimmt dabei die schlechtesten Menschen der Gegenseite und verallgemeinert deren Taten auf die gesamte Gruppe der Gegenseite. Ein Beispiel: Friedrich Merz nutzt die Verbrechen der Hamas und ihre Verharmlosung auf Demos, um damit zu rechtfertigen, keine palästinensischen Schutzsuchenden mehr aufzunehmen. Schlimmer noch: Manche Menschen nutzen Israels kontraproduktive Siedlungspolitik, um damit den Antisemitismus und Vernichtungswillen der Hamas gegen vollkommen unschudlige Zivilist*innen zu rechtfertigen. Das bringt gar nichts. Der Frieden wird zwischen den Moderaten geschlossen. Wir geben den Hardlinern Macht, wenn wir den Konflikt über sie definieren.
5. Widersprüche aushalten: Ambiguitätstoleranz
Was wir derzeit in Deutschland in vielen Debatten erleben, ist, dass es vielen Menschen an Ambiguitätstoleranz fehlt. Das bedeutet konkret, dass viele ein Nebeneinander verschiedener Teile von Realität, die trotzdem alle valide sind, nicht aushalten. Wir können uns für Menschenrechte und eine Verbesserung der Situation in Palästina einsetzen und trotzdem den Terror der Hamas gegen Zivilist*innen verurteilen und die Opfer betrauern. Wir können für das Existenzrecht Israels eintreten und trotzdem die Siedlungspolitik und bestimmte Militäraktionen gegen Palästina kritisieren. Differenzierte Positionen müssen auch möglich sein.
Die Grundlage jeder Diskussion sollte jedoch die Anerkennung des Staates Israel als solcher sein. Solidarisch mit Israel zu sein bedeutet nicht, der israelischen Regierung einen Blanko-Scheck auszustellen und sie nicht für Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren. Die Essenz der Solidarität mit Israel meint aber das Existenzrecht Israels, das aus der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus in Europa resultiert. Diese Solidarität ist keine Rechtfertigung oder gar ein Gutheißen aller Entscheidungen israelischer Politik. Sie steht aber immer an der Seite der Opfer des Holocausts oder ihrer Nachfahren. Und es ist auch kein Ablehnen der Solidarität mit dem Leid der Zivilbevölkerung in Palästina.
6. Teile Faktenchecks, keine Fake-News
Viele viralen Infos, gerade solche aus Hamas-nahen Quellen, sind Propaganda und dienen nur dazu, Hass zu schüren. Auf die fallen sogar große Medienhäuser ein. Vermeidet solche Quellen. Einige Merkmale: Welche Quellen verurteilen klar die Verbrechen der Hamas? Welche Quellen setzen sich für einen humanen Umgang miteinander ein? Wer berichtet zu einseitig? Das ist schonmal ein guter Anhaltspunkt.
In einem Krieg ist es grundsätzlich wichtig, Informationen von Regierungsseiten der Konfliktparteien, sei es Hamas oder IDF, kritisch gegenüberzustehen. Das zeigt auch unser Faktencheck zur Militäroffensive in Gaza.
Gerade emotionale Inhalte verbreiten sich oft ungeprüft weiter. Gerade, wenn du eher ein emotionaler Typ Mensch bist oder emotional in die Situation involviert bist, bist du anfälliger für Fakes. Es ist wichtig, sich da selbst zu kennen, und selbst zu hinterfragen. Gerade beim Nahost-Konflikt geht es extrem emotional her.
Und das allerwichtigste: Vertraue Informationen aus unbekannten Quellen im Netz auf keinen Fall. Auch nicht, wenn viele deiner Freund:innen Tweets reposten oder Stories auf Instagram teilen. Oft vertraut man Informationen von Freund:innen im Netz stärker, allerdings sind diese oft genauso ungeprüft. Nur, weil eine Information von einem Account mit blauem Häkchen stammt oder weil du ihn schon mehrmals im Netz gesehen hast, bedeutet das nicht, dass diese Information wahr ist. Gerade im Nahost-Konflikt bewährt sich die Devise: Teilt im Zweifel lieber gar nichts. Oder eben am besten seriöse Faktenchecks.
Artikelbild: Ariel Schalit/AP/dpa
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